80 Kilogramm

80 Kilogramm

Ich habe mit diesem Beitrag extra bis zu dem Tag gewartet, an dem ich mit voller Überzeugung sagen kann: Ich habe die 80 Kilogramm-Marke erreicht. Vor einigen Wochen kam dieser Tag. Deshalb hier ein paar Gedanken zum Thema Gewicht, Fitness, Lebensqualität und Wohlgefühl.

Ich war nie schlank. Als Kind war ich immer einer der dickeren, Sport war mein Hass-Schulfach und einen Sportverein kannte ich nur aus Erzählungen. Ich wurde nie gemobbt, hatte viele Freunde und generell eine Kindheit wie aus dem Bilderbuch (an dieser Stelle auch einen schönen Gruß an meine Eltern, denn meine Mutter folgt mir auf Twitter). Ich hatte das Glück, mir um mein Gewicht nie Gedanken machen zu müssen. Natürlich hätte es auch anders laufen können, für mich war das aber nie ein Problem.

Als ich so um die 15 Jahre alt war und sich meine Realschulzeit dem Ende entgegen neigte, hatte ich dann mal für ca. 2 Jahre ein, für meine Größe, relativ normales Gewicht. Großartige Erinnerungen habe ich an die Zeit zwar nicht mehr, aber wie ich anhand alter Fotos sehen kann, muss es wohl so gewesen sein. In den Jahren von 2006 bis 2008 pendelte mein Gewicht immer zwischen 100 und 110 kg herum. Ein Problem war das damals auch nicht. Meine Ausbildung lief wie am Schnürchen, meine damalige Beziehung auch. Auch in dieser Zeit spielte für mich mein Gewicht überhaupt keine Rolle.

120 kgAb 2008 ging es dann stark bergab, oder besser gesagt: Bergauf. Nach der Ausbildung habe ich den Zivildienst in einem Jugendheim absolviert. Dort gab es sozusagen eine nie versiegende Quelle an Nahrungsmitteln – vor allem Süßigkeiten. Innerhalb von 6 Monaten habe ich es geschafft mein Gewichtsminimum auf ca. 115 kg zu setzen. Kurz vor dem Studium im Sommer 2009 hatte ich dann stolze 117 kg auf den Rippen. Die Messung habe ich in einer alten Handy-Notiz gefunden. Ganz schön beachtlich. Nachdem das Studium an meinen Nerven gezerrt hat (ein Thema für sich), ich ziemlich unzufrieden mit allem war und meine damalige Beziehung auch alles andere als rund lief, habe ich direkt noch ein paar Kilo drauf gepackt. Ich wog im Januar 2010 stolze 126 kg. Ich weiß nicht, ob es unterbewusst der Frust war oder einfach die Langeweile, aber damals habe ich den absoluten Höhepunkt erreicht.

Nachdem ich das Studium nach einem Semester an den Nagel gehangen hab (sei gegrüßt, Ausdauer) und einen Job angefangen habe, konnte ich mein Gewicht immerhin halten. Wenn man erstmal sowieso alle Klamotten neu gekauft hat und sich um sein Gewicht nach wie vor keine Gedanken macht, kommt man sogar ziemlich gut damit zurecht. Es spielt einfach keine Rolle. Der Job lief, die Beziehung rollte so vor sich hin. Eigentlich war alles im Lot. Ich war zufrieden.

Ich wäre vermutlich für den Rest meines Lebens zwischen 110 und 130 kg hin- und hergependelt, wenn meine damalige Freundin nicht den Stecker aus der Beziehungs-Steckdose gezogen hätte.
Nachdem das Licht dann aus war, konnte ich ca. vier Wochen lang stressbedingt nicht richtig Essen. Das hat dafür gesorgt, dass ich innerhalb weniger Wochen mein Gewicht von 2009 (117 kg) wieder erreicht hatte. Nachdem die stressigste Phase dann vorbei war, kam mir der Gedanke, das „Momentum“ zu nutzen und weiter abzunehmen. Das war am 22.11.2010.

Seit diesem Tag habe ich jeden Tag mein Gewicht gemessen und aufgeschrieben. Auch heute mache ich das noch, zur Selbstkontrolle. Am 28.04.2011, also knapp 5 Monate nach dem Start war die 100 kg-Marke durchbrochen. Ich habe ca. 3,5 kg pro Monat abgenommen, was angesichts der Tatsache, dass ich überhaupt keinen Sport gemacht, sondern nur anders gegessen habe, eine ziemlich gesunde Rate ist. Zwischen dem 28.04.2011 und dem 01.07.2013 lag mein Durchschnittsgewicht bei ca. 96 kg. Ich kann sagen, dass ich in dieser Zeit eigentlich recht zufrieden mit allem war. Mein Job lief großartig, neues Auto und neue Wohnung waren da, mein neues Umfeld hatte sich etabliert. Ich hätte auch einfach aufhören können. Immerhin habe ich es geschafft, mehr als zwei Jahre lang mein Gewicht zu halten.

2013 stand aber ein Mallorca-Urlaub an. Angeheizt durch die Idee, am Strand vielleicht nicht unbedingt mit einem Wal verwechselt werden zu wollen, habe ich mich konsequent jeden Tag auf das Ergometer geschwungen, hauptsächlich fettarm gegessen und auf Süßigkeiten verzichtet. Innerhalb von einem Monat hatte ich, pünktlich zum Tag des Abflugs, mit 89 kg das bis dato geringste Gewicht erreicht, an das ich mich je erinnern konnte. Ich musste mal wieder neue Klamotten kaufen, da Hosengröße 36 an mir aussah wie aus einem schlechten Hip-Hop-Musikvideo der 90er Jahre.

Nachdem der Urlaub dann aber vorbei war und auch der Sommer sich dem Ende entgegen neigte, habe ich wieder ein paar Kilo drauf gepackt und über den Winter hinweg wieder mein Durchschnittsgewicht von 96 kg erreicht. Aber auch das war völlig in Ordnung: Meine alten Klamotten, die mir schon die vorherigen zwei Jahre treue Dienste erwiesen hatten, hatte ich ohnehin noch im Schrank. Meine Gemütslage war großartig, alles lief wie am Schnürchen. Ich konnte mich echt nicht beklagen. Und wohl gefühlt habe ich mich, wie die vorherigen zwei Jahre, sowieso.

Der wirklich spannende Part kommt allerdings jetzt. Wir sind im Januar 2014 angekommen. Es ist Silvester, jeder macht sich Vorsätze, die nicht eingehalten werden. Mein Vorsatz: Ein mal im Leben 80 Kilogram wiegen. Nicht, weil ich unzufrieden war. Auch nicht, weil ich mich selbst zu dick gefühlt hab, sondern einfach nur aus Prinzip.
Einfach um sagen zu können: „Ich war mal fett, ich war mal dick und ich war auch mal dünn.“

Foto 2-1Ich habe exzessiv damit begonnen Sport zu treiben. Anfangs mindestens 15, später 30 und gegen Ende 45 Minuten täglich. Meine Ernährung habe ich auch komplett umgestellt. Hauptsächlich Salat, kein Fastfood mehr, keine Lieferdienste mehr. Zwischendurch habe ich noch mit Juicing experimentiert. Nachdem ich das Ganze ca. 6 Monate lang durchgezogen habe, kam mit dem 07.06.2014 der Tag, an dem ich zum ersten Mal in meinem Leben die 80 kg-Marke durchbrochen hatte. Ich wog noch 79,7 kg. Mit diesem Gewicht gingen auch andere Klamottengrößen einher: Hosenweite 32, Hemden in Größe S (Regular fit) und M (Slim fit). Ein völlig neuer Kleiderschrank, sozusagen. Das Ganze hat zeitlich perfekt gepasst, denn auch in diesem Jahr sind wir wieder nach Mallorca geflogen. Die „Wal-Problematik“ spielte also in diesem Jahr keine Rolle mehr.

Neben dem geringeren Gewicht und der Kleidergröße war ich auch ziemlich fit. Radfahren konnte ich nahezu endlos, Treppenhäuser waren auch kein Hindernis mehr. Man kann also sagen, dass ich alle Vorzüge eines „schlanken“ Lebensstils mitgenommen habe.

Und das bringt uns zu heute, Ende Juli 2014. Ich wiege 79 kg, trage noch immer Hosen in Größe 32, bin noch immer schlank. Manch einer meiner Freunde nennt mich sogar „dürre“, „Gerippe“ oder gibt mir den Superhelden-Spitznamen „Lauchboy“.
Es wird also Zeit für ein Fazit und zwei für mich entscheidende Fragen:

„Hat es sich gelohnt?“ und „Geht es mir jetzt besser?“

Foto 1-1Auf beide Fragen gibt es die gleiche Antwort: Nein. Es hat sich nicht gelohnt. Verglichen mit 2010, als ich noch 47 kg schwerer war, geht es mir kein Stück besser. Mir geht es mal gut, mal schlecht, mal super. Mal lacht man, mal nicht. Mal macht der Job spaß, mal nicht. Mal ist man deprimiert, mal euphorisiert. So wie das im Leben nunmal ist. Wurde einer dieser Punkte in den letzten zwei Jahren negativ oder positiv beeinflusst, weil ich mehr oder weniger gewogen habe? Für mich nicht mal im Ansatz. Ich hatte geile Tage, Wochen und Monate als ich fett war, als ich dick war und als ich dünn war. Ich hatte gute Freunde als ich fett war, als ich dick war und auch als ich dünn war. Ich hatte einen super Job als ich fett war, als ich dick war und als ich dünn war.
Diese wesentliche Punkte waren immer gegeben. Völlig egal was sich auf meiner Waage abgespielt hat.

„Aber es ist doch toll, dass du jetzt so fit bist, oder?“ – Nein. Man muss der Realität mal ins Auge sehen: Ich habe einen Job, in dem ich 8 Stunden am Tag im Büro sitze. Mein Auto steht direkt vor dem Bürogebäude, ein Fahrstuhl fährt mich bis wenige Meter vor meinen Arbeitsplatz. Meine Wohnung liegt zwar im Dachgeschoss, aber da muss ich eigentlich auch nur 1x am Tag hoch. Meine Hobbies sind Filme, Serien und das Programmieren. Meine Wochenendaktivitäten setzen sich aus Feiern, Grillen, Filme gucken oder Radtouren zusammen. Und jetzt denkt mal drüber nach: Was bringt mir bei einem solchen Leben die Fitness? Rein gar nichts. Fit zu sein bietet in meinem Leben, womit ich vollkommen zufrieden bin, keinerlei Mehrwert. Ich gucke nicht besser Serien, weil ich jetzt 30 Liegestütze schaffe. Ich bin auch nicht besser im Programmieren, weil ich 70 km am Stück Radfahren kann. Es bringt mir unterm Strich absolut nichts. Ich brauche auch kein „Ventil“ um Frust abzubauen – ich bin ohnehin selten gefrustet.

Wer als dicker Mensch meint, abzunehmen ist die Lösung aller Probleme, der irrt gewaltig. Das Leben passiert um einen herum, völlig unabhängig vom Gewicht, der Kleidergröße oder der Fitness. Wer heute dick und unzufrieden ist, der ist morgen dünn und unzufrieden. Wer heute dünn und glücklich ist, der ist morgen auch als dicker Mensch noch glücklich.
Ich schere vieles, wie es so meine Art ist, hier mal wieder über einen Kamm. Aber als jemand der fett war, dick war und dünn war und somit alle Konstellationen durchgemacht hat, kann ich jeden dicken Menschen verstehen der von sich behauptet, dass er glücklich und zufrieden mit seinem Leben ist. Das war ich schließlich auch.

Jetzt bin ich dünn und glücklich. Dünn zu bleiben erfordert eine Menge Arbeit, glücklich zu sein nicht. Für mich ist klar, wo die Reise hin geht. Wenn ich mein Gewicht halten kann, ohne dass Sport, den ich nach wie vor hasse, mein Leben bestimmt, ist es gut. Wenn ich das nicht schaffe, ist es auch völlig in Ordnung.

Ob fett, dick oder dünn: Es spielt für mich keine Rolle.
Es geht mir als dünner Mensch nicht besser – denn auch als dicker Mensch ging es mir gut.

Wer Graphen genau so sehr mag wie ich, findet hier meinen genauen Gewichtsverlauf seit 22.11.2010:

Bildschirmfoto 2014-07-27 um 20.04.04

2 Gedanken zu „80 Kilogramm

  1. Irgendwie ist das witzig und ich sehe da einige Parallelen. Mein höchstes waren 107 kg und Hosengröße 38 wurde langsam echt knapp. Sportlich hat es immer nur gerade so zur 4 gereicht irgendwie.
    Beim Bund dann nach vier Tagen wegen einer Fußverletzung ins Krankenhaus gemusst und da dann Diagnose Schilddrüse im Arsch. Da wurde mir einiges klar. Seitdem ich die Tabletten nehme, ging es rapide abwärts mit dem Gewicht (hab da auch so einen tollen Graphen für :D). Das niedrigste vor Ausbildungsbeginn war so 85 kg, dann ging es wieder 10 kg hoch und in diesem Sommer war es erstmals unter 80 kg. Es schwankt um den Wert, so +/- 1 bis 2kg. Wo bei dir aber mit 80 kg Hosengröße 32 passt, muss es bei mir gerade noch so die 36 sein und Größe XL oder L. Trotz defacto Idealgewicht habe ich auch immer noch ne Wampe, warum auch immer.
    Ich esse auch weiterhin mal einen Döner, Burger usw. verzichte aber sehr stark auf Limo, Süßigkeiten usw. Manchmal ist das schwer, aber es geht halt irgendwie. Bewegung ist bei mir dann halt der Weg von/zur Haltestelle *g* oder halt die Geocaching-Touren, Radfahren usw…
    Letztes Jahr im Sommerurlaub in Island habe ich mich sogar so bewegt, dass ich da in 10 Tagen auch noch 2 kg abgenommen habe, wobei ich erst mit einer Zunahme rechnete.
    Zurück zu den 107 kg will ich nicht mehr, und muss daher, auch wegen der Schilddrüsenerkrankung, deinen Abschlusssatz etwas umwandeln:

    „Es geht mir als dünner Mensch besser – denn als dicker Mensch ging es mir nicht gut.“

    Ja, als relativ dünner Mensch geht es mir besser, aber ich habe trotzdem noch genug Baustellen, wo mal Veränderungen stattfinden müssten (Arbeit z. B. aber das ist wieder eine andere Geschichte). Aber wie das immer so ist mit der Motivation 🙁

    In diesem Sinne!

    1. Großartig Henning! Find ich ja genial, dass du am anderen Ende des Landes was ähnliches erlebst.
      Klar, den Punkt mit der Gesundheit habe ich nicht berücksichtigt. Das ist wohl dem glücklichen Umstand geschuldet, dass ich persönlich in der Hinsicht absolut keine Probleme habe/hatte.
      Wer gesundheitliche Probleme bekommt, sieht das Ganze sicherlich anders als ich. Zu recht.
      Bei mir stand eher die Psyche im Vordergrund (liest man denke ich auch heraus). Und ich glaube einfach, dass der ein oder andere sich eher um andere Baustellen im Leben kümmern sollte, als um das eigene Gewicht. Denn nur durch rechnerisches Idealgewicht wird das Leben nicht automatisch besser. 🙂

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